Urkunde von 1964 im Turmknopf der Clemenskirche

 

                                               Urkunde

welche anlässlich der Erneuerung des Kirchturms im August und September 1964 in den Knopf des Turmes gelegt wird.

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Am 12. Juli 1963 hat der Kirchengemeinderat bei der Besichtigung des Kirchturms erhebliche Schäden im Verputz festgestellt. Bei der Durchsicht des Turmhelms durch Herrn Architekt Regierungsbaumeister Klatte aus Stuttgart zeigten sich weitere Schäden im Gebälk und undichte Stellen in der Verschalung und in der Schieferbedeckung des Turms. Der Kirchengemeinderat beschloß am 27. Februar 1964 eine umfassende Erneuerung des Turmhelmes. Die Bauleitung wurde vom Oberkirchenrat Herrn Architekt Regierungsbaumeister Heinz Klatte aus Stuttgart übertragen, der seinen Mitarbeiter, Herrn Architekt Wiegand, mit der Durchführung der Arbeiten betraute. Am 4. August 1964 wurde mit den Arbeiten begonnen. Es war ein heißer Sommer, wie ihn die ältesten Bürger sich nicht denken konnten. Es gab des öfteren 35 Grad Hitze. Viele Wochen war der Himmel ohne Wolken. Die Wiesen dörrten aus. Es gab eine gute Heuernte. Auch die Weizenernte war gut, wenn auch der Kern kleiner geblieben war. Aber es gab fast kein Öhmd. Doch konnte der Viehstand mit vorhandenen Futtervorräten erhalten werden. Die wenigen Regenfälle brachten keinen Flurschaden und kamen den Weinbergen sehr zugut, sodaß mit einer guten Weinernte gerechnet werden kann. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Weinlese in diesem Jahr schon Ende September beginnen kann.

Bei der Abnahme des Knopfes auf der Kirchturmspitze fand man eine Urkunde aus dem Jahr 1893, aus der zu ersehen war, dass im Jahr 1893 die letzte Reparatur am Kirchturm vorgenommen wurde. An dem Wohlstand, der um die Jahrhundertwende in unserem Land herrschte, hatte auch die Kirchengemeinde Anteil.

Im Jahre 1911 wurde der Kirchengemeinde von der Familie Engel ein Gemeindesaal für die Zwecke der kirchlichen Jugendarbeit gestiftet, was dankbar begrüßt wurde. Am 22. Juli 1913 betrug das Kirchenvermögen 51.051 Mark und 88 Pfennig. Die Zeit des Friedens wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges jäh unterbrochen. Seitdem ist der Friede von der Erde genommen, wie wir Offenbarung Kapitel 6 Vers 4 lesen. Der Erste Weltkrieg forderte von unserer Gemeinde 44 Gefallene und Vermisste; im Krieg gegen Frankreich im Jahre 1870 waren es 3 gewesen. Die schwerste Zeit brachte der Zweite Weltkrieg, während dessen Verlauf viele Städte durch Fliegerangriffe zerstört wurden. Unsere Gemeinde hatte keinen Fliegerschaden erlitten. Doch hatten wir 115 Gefallene und Vermisste zu beklagen. Der eindrücklichste Tag des Zweiten Weltkriegs war für unsere Gemeinde der 8. April 1945. An diesem Tag besetzten die Franzosen unser Dorf. Damit war der Zweite Weltkrieg, der fünfeinhalb Jahre dauerte, für uns beendet. Aber es lag eine Angst auf den Gemütern: Was werden die Feinde mit uns tun, was werden sie als die neuen Machthaber unseres Dorfes von uns fordern? Schon die Nacht zuvor war das Dorf beschossen worden. Um weitere Zerstörungen zu verhindern, haben in der Nacht zwei Männer unserer Gemeinde die weiße Fahne auf dem Kirchturm gehisst. Am anderen Morgen, einem Sonntag, zog der Feind ein. Durch den Beschuß wurden 4 Menschen getötet: zwei deutsche Soldaten und zwei Frauen unserer Gemeinde. Die Kirche erhielt keinen Treffer, obwohl rings um das Kirchengebäude Wohnhäuser und Scheunen getroffen wurden. Lediglich die Fenster litten Not; etwa 200 kleine Scheiben wurden zertrümmert. Auch die anderen kirchlichen Gebäude wurden nicht beschädigt: weder der Gemeindesaal noch die Kinderschule. Wir gingen rasch daran, die zerbrochenen Scheiben zu ersetzen. In einer Mühle in Spielberg lagerte Glas. Das Landratsamt gestattete uns, dieses Glas, dessen Besitzer nicht bekannt war, zu holen und damit die Fenster zu reparieren. Der Gottesdienst ist nur ein einziges Mal ausgesetzt worden, nämlich am Sonntag, den 8. April, dem Tag der Besetzung. Da Massenversammlungen, zu denen auch der Gottesdienst gehörte, verboten waren, mussten wir beim französischen Kommandanten die Erlaubnis holen, am Sonntag, den 15. April, wieder Gottesdienst zu halten, was uns gerne genehmigt wurde. Die ersten Wochen der Besetzung brachten manche Not in unsere Häuser; abends wurde von den Angehörigen der Besatzungsmacht, von den Marokkanern, nach Frauen und Mädchen gesucht. Nach mehreren Wochen wurde unser Kreis von der amerikanischen Besatzungsmacht übernommen. Damit traten wieder ruhige Verhältnisse ein.

In den folgenden Jahren wurde das kirchliche Leben wieder aufgebaut. Der Religionsunterricht und die kirchliche Jugendarbeit, die in den Jahren des sogenannten Dritten Reiches (1933 bis 1945) der Kirche untersagt waren, wurden wieder aufgenommen. Man erfreute sich allgemein der Freiheit, die das kirchliche Leben wieder erlangt hatte. Nachdem das Jahr 1948 mit der Umstellung der Währung (Einführung der Währungseinheit „Deutsche Mark“) wieder stabile Geldverhältnisse gebracht hatte, konnten auch notwendige Erneuerungsarbeiten an den kirchlichen Gebäuden geplant werden. Unsere Gemeinde zeigte sich stets opferwillig und dankbar für den Dienst der Kirche. Es wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:

1952   Erneuerung der „Herrenstühle“ auf der Empore für   2.045 DM

1953   Erneuerung von Taufstein und Altar für   600 DM

1954   Beschaffung von zwei Glocken für   14.700 DM

1956   Erneuerung des Vorplatzes der Kirche für   4.385 DM

                        und des Kindergartengebäudes für   23.120 DM

1957   Erneuerungsarbeiten am Kirchturm für   6.200 DM

1958   Erneuerung der Kirchtüren für   3.153 DM

1960   Erneuerung der Kirchenfenster für   5.605 DM

1961   Erneuerung des Chores und der Sakristei für   12.200 DM

1962   Erneuerung des Innern der Kirche für   142.500 DM

1964   Erneuerungsarbeiten am Turm für   43.000 DM

 

Von den erwähnten Maßnahmen sind besonders zu nennen: die Wiederbeschaffung von zwei Glocken und die Innenerneuerung der Kirche.

Im Jahre 1942 mussten 2 Glocken für Kriegszwecke abgeliefert werden; jede Gemeinde durfte nur eine einzige Glocke behalten. Uns wurde die älteste Glocke aus dem Jahre 1513 belassen. Manche Gemeindeglieder sahen in der zwangsweisen Ablieferung der Glocken an den Staat ein Zeichen eines verlorenen Krieges, was sich auch als richtig herausstellte. Im September 1949 konnte zu der vorhandenen Glocke die kleinste Schwester, eine h-Glocke, wieder beschafft werden. Noch fehlte die schöne, schwere große D-Glocke. Im Jahre 1954 konnten wir diese große Glocke beschaffen und gleichzeitig der Harmonie wegen die 1949 erworbene Glocke austauschen, sodaß zwei Glocken geweiht werden konnten. Viele Gemeindeglieder hatten der Kirchengemeinde zur Beschaffung der Glocken Darlehen in Höhe von je 50 DM gewährt, die später fast ausnahmslos der Kirchengemeinde gespendet wurden.

Im April 1962 wurde die umfassende Innenerneuerung der Kirche in Angriff genommen. In 7 ½ Monaten wurde die Arbeit vollbracht. Die Gemeindeglieder leisteten freiwillig 1.400 Arbeitsstunden. Der Fußboden und das Gestühl wurden erneuert, die Empore wurde verlegt, die Kanzel wurde versetzt. An den Wänden wurden alte Malereien freigelegt; eine Blumenornamentik aus der Zeit der Renaissance wurde gefunden. Es wurde eine elektrische Heizung eingebaut. Das schwierigste und am besten gelungene Werk war die Hebung der Decke. Statt der bisherigen waagerechten Gipsdecke wurde eine Tonnendecke aus Holz eingezogen; diese wurde so gestaltet, dass der Chorbogen freigelegt und eine prächtige Sicht auf den Chor mit seiner Barockorgel geschaffen wurde. Am 2. Advent war der Festtag der Wiedereinweihung der erneuerten Kirche, ein unvergesslicher Freudentag.

 

An der Erneuerung arbeiteten folgende Handwerksmeister mit:

Maurerarbeiten: Maurermeister Rieger,

Zimmerarbeiten: Zimmermeister und Kirchengemeinderat Wallinger,

Malerarbeiten: Malermeister Schmid,

Gipserarbeiten: Gipsermeister Hangstörfer aus Vaihingen (Enz),

Plattenlegerarbeiten: Plattenlegermeister Herdtfelder aus Vaihingen (Enz),

Schmiedearbeiten: Schmiedemeister und Kirchengemeinderat Faigle und Schmiedemeister Götz aus Sersheim,

Steinmetzarbeiten: Steinmetzmeister Gräf aus Freudental,

Flaschnerarbeiten: Flaschnermeister Lipps.

 

Restaurator Wengerter aus Besigheim legte die Wandmalereien frei. Die Bauleitung war vom Oberkirchenrat Herrn Architekt Regierungsbaumeister Klatte aus Stuttgart übertragen worden, der seinerseits Herrn Architekt Wiegand mit der Planung und mit der Bauleitung beauftragte.

Die gesamten Kosten von 142.500 DM konnten dank eines namhaften Beitrags des Oberkirchenrats und dank der Spendefreudigkeit der Gemeindeglieder in 2 ½ Jahren ganz bezahlt werden. Bei der Einweihungsfeier am 2. Advent hielt Herr Oberkirchenrat Lutz die Festpredigt, Herr Dekan Ziegler aus Vaihingen (Enz) sprach das Weihegebet. Nachmittags besuchte uns Herr Prälat Dr. Hege aus Heilbronn.

 

Bei den in den Monaten August und September 1964 ausgeführten Erneuerungsarbeiten am Kirchturm arbeiteten folgende Handwerksmeister mit:

Dachdeckerarbeiten: Dachdeckermeister Fink aus Illingen,

Zimmerarbeiten: Zimmermeister und Kirchengemeinderat Wallinger,

Flaschnerarbeiten: Flaschnermeister Lipps,

Malerarbeiten (Vergoldung des Knopfes): Malermeister Schmid.

 

Die gesamten Kosten sind auf 43.000 DM veranschlagt. Wir werden diesen Betrag wohl nicht ohne Aufnahme eines Darlehens aufbringen können. Für das nächste Jahr ist der Einbau eines neuen Glockenstuhles aus Stahl und der Verputz des Kirchengebäudes geplant. Sodann folgt die Beschaffung einer neuen Orgel und vielleicht einer vierten Glocke. Ausserdem steht der Gemeinde der Neubau eines Kindergartens bevor, da der seitherige sich als zu klein erweist.

 

Auch in der bürgerlichen Gemeinde hat sich vieles geändert. Der verlorene Krieg brachte die Aussiedlung der Volksdeutschen aus den östlichen Ländern. Jede Gemeinde musste entsprechend ihrer Einwohnerzahl „Neubürger“ aufnehmen. Zu uns kamen im Jahre 1946 etwa 250 Ostflüchtlinge. Durch den Bau einer Siedlung bei der Gündelbacher Straße vermehrte sich die Gemeinde weiter, sodaß sie heute 2050 Einwohner zählt.

Auch die konfessionellen Verhältnisse veränderten sich. Während wir im Jahre 1939 nur 6 Angehörige der Katholischen Kirche hatten, sind durch die Aufnahme von Ostflüchtlingen weitere 220 Katholiken zu uns gekommen. Sie hielten ihre Gottesdienste zunächst in der evangelischen Kirche, bis in dem benachbarten Sersheim eine katholische Kirche gebaut wurde. In diesem Jahr wird in der Siedlung eine kleine katholische Kapelle gebaut, die wohl noch in diesem Jahr eingeweiht werden kann. Mit der Neuapostolischen Sekte, die nach dem Ersten Weltkrieg eine starke Ausbreitung erfahren hat und in unserem Dorf ebenfalls etwa 220 Mitglieder zählt, haben wir also drei Konfessionen in der Gemeinde. Das Verhältnis der Konfessionen untereinander ist in allen Stücken friedlich.

 

Hinsichtlich der Berufstätigkeit der Gemeindeglieder hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles geändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach der Währungsumstellung um Jahre 1948 haben viele Kleinbauern ihren Betrieb aufgegeben und sich Beschäftigung in der Industrie gesucht. Wir haben gegenwärtig nur noch etwa 100 Bauernbetriebe. Auch viele Söhne und Töchtern von Landwirten zeigen keine Neigung zu der elterlichen Landwirtschaft und wählen einen Handwerksberuf.

Im Jahre 1964 wurde etwa ein Drittel der Weinbergfläche in eine Rebflurbereinigung einbezogen, die den Besitzern von Weinbergen eine rentablere und mit weniger Mühe verbundene Bearbeitung der Fläche ermöglicht.

Wir leben in einer Zeit des Wohlstandes und eines hohen Lebensstandards. Man findet leicht Arbeit und verdient gut. 426 Gemeindeglieder gehen in auswärtigen Fabriken zur Arbeit; 92 Auswärtige arbeiten in den drei Industriebetrieben am Ort.

Die gute Verdienstmöglichkeit zieht auch Arbeitskräfte aus dem Ausland an. Wir beherbergen etwa 75 Ausländer (Griechen, Jugoslawen, Italiener, Jordanier u.a.) im Ort, die von hier aus ihrer Arbeit nachgehen. 200 Gemeindeglieder besitzen einen Kraftwagen. Die landwirtschaftlichen Güter werden mit Traktoren bearbeitet, deren es hier 100 gibt.

Zwischen Schule, bürgerlicher Gemeinde und Kirche herrscht ein gutes Einvernehmen. Die bürgerliche Gemeinde hat bei der Neubeschaffung der Turmuhr im Jahre 1963 einen Beitrag von 4.000 DM freiwillig gegeben. Das ist beinahe die Hälfte der gesamten Anschaffungskosten. Es ist uns auch ein Beitrag für die Erneuerung des Turms zugesagt. Wir sind dankbar, dass alle Bauarbeiten bis jetzt ohne Unfall ausgeführt werden konnten.

 

Wir bitten Gott, unseren Herrn, dass er auch fernerhin Seine schützende Hand über unserem Dorfe und über unserem Gotteshause halten möge. Unser Kirchengebäude möge weiterhin die Stätte sein, da wir Gott suchen und finden in Seinem Wort und in Seinen Heiligen Sakramenten. Möge der Dienst unserer Kirche dazu helfen, dass die Freude an unserem Herrn Jesus Christus vermehrt wird und wir für Sein ewiges Reich zugerüstet werden.

 

Horrheim, den 6. September 1964

 

 

Der Kirchengemeinderat:

 

Pfarrer (seit 2. Sept. 1930 hier)

Kirchenpfleger (seit 1934 im Amt)